14.05.2023

Provozierend empathisch

Ein Mann und ein kleiner Junge in Badehosen lehnen dicht nebeneinander an einer Hauswand. Sie sind in ein Gespräch vertieft. In einer schwarzen Regentonne links von ihnen planschen 5 andere kleine Jungen.

Foto: Neue Visionen

„Sparta“ von Ulrich Seidl erzählt von der Unentrinnbarkeit der eigenen Vergangenheit und von dem Schmerz, sich selbst zu finden.

Vor Jahren hat es den Mittvierziger Ewald nach Rumänien verschlagen. Jetzt wagt er einen Neuanfang. Er verlässt seine Freundin und zieht in die verarmte, ländliche Einöde, wo er mit Jungen aus der Umgebung ein verfallenes Schulgebäude zu einer Festung ausbaut.

 

„Ulrich Seidls streitbarster Film seit Langem, aber – so viel Ambivalenz muss man aushalten – auch sein bester.“

Michael S. Bendix

Die Kinder entdecken dort eine Unbeschwertheit, die sie so nicht kannten, doch der Argwohn der Dorfbewohner lässt nicht lange auf sich warten. Und Ewald muss sich einer lange verdrängten Wahrheit stellen…

 

Ulrich Seidl über seinen Film

Ich habe vor vielen Jahren, lange bevor es dieses Projekt überhaupt gegeben hat, auf die Frage eines Journalisten, welches Thema ich keinesfalls für einen Film bearbeiten würde, gesagt: Kindesmissbrauch. Als ich aber eines Tages auf die wahre Geschichte eines Deutschen, der Nacktfotos von Buben gemacht und über eine kanadische Agentur im Internet verkauft hat, gestoßen bin, wusste ich, dass ich mich darauf einlassen möchte. Allerdings war der Tatsachenfall nur ein Ansatz und Ausgangspunkt für die Entwicklung des Drehbuchs für „Sparta“. Mit der Hauptfigur Ewald haben sich Ko-Autorin Veronika Franz und ich sehr weit von der Inspirationsquelle entfernt.

Ewald macht die Fotos und Videos nicht, um damit Geschäfte zu machen. Vielmehr sucht er nach einem Weg, mit seiner pädophilen Neigung umzugehen. Wie sein Bruder Richie, dessen Geschichte ich in „Rimini“ erzählt habe, wird er von seiner Vergangenheit eingeholt, ist seine Selbstfindung eine schmerzhafte.

„Rimini“ und „Sparta“ formen ein Diptychon, das um eben dieses Leitthema kreist. Es sind sehr unterschiedliche Filme geworden, auch da die beiden Brüder grundverschiedene Charaktere sind. Beide kämpfen in ihrer Geschichte ums Überleben, weniger körperlich, vielmehr seelisch.

Ich kann verstehen, wenn Leute nicht zu jeder Zeit in der Stimmung sind, sich einen Film von mir anzuschauen. Ich versuche immerzu gesellschaftliche Prozesse und zwischenmenschliche Beziehungen in ihrer ganzen Komplexität darzustellen und darüber auch vereinfachende Zuschreibungen, angelernte Gemeinplätze, und klischeebeladene Abbildungen und Charakterisierungen herauszufordern und zu hinterfragen. Das ist für das Publikum häufig unangenehm und manchmal auch schmerzhaft. Jedenfalls sehe ich meine Aufgabe als Filmautor nicht darin, Erwartungshaltungen zu erfüllen und Unterhaltung anzubieten, sondern möchte von der menschlichen Erfahrung in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit erzählen. Ich wünsche mir, dass der Zuschauer nach einem Film von mir anders aus dem Kino kommt als er hinein gegangen ist. Ich will verunsichern, weil jede Verunsicherung Fragen aufwirft und, im besten Fall, auch zu neuen Erkenntnissen führt.