16.11.2022
Osteuropäische Filmtage Dresden 2022
Der Verein KinoFabrik e.V. präsentiert vom 19. bis 27. November 2022 stolz die 10. Osteuropäischen Filmtage. Die Schwerpunkte des diesjährigen Programms sind sorbische Kurzfilme, Science-Fiction und aktuelle Filme aus Osteuropa. Lasst euch begeistern!
Im Zentralkino starten wir am 23. November 2022 um 18 Uhr mit der Neuinterpretation der französischen Vorlage „Zum Beispiel Balthasar“ aus dem Jahr 1966. In seiner zeitgenössischen Fabel „EO“, gedreht in Polen und Italien, zeigt uns der polnische Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler Jerzy Skolimowski die Welt aus der Perspektive eines grauen Esels mit melancholischen Augen.
Ebenfalls am 23. November 2022, ab 20 Uhr, begrüßen wir euch zum Kurzfilmprogramm „Sorbische Filmemacher*innen erzählen“. Der Abend präsentiert vier Arbeiten von jungen sorbischen Filmschaffenden. Im Anschluss an die Vorführungen wird ein Gespräch mit den Filmemacher*innen stattfinden. Sie alle sind Mitglieder im Netzwerk für sorbisch- deutsche Medien- und Filmschaffende Łužycafilm.
„Zu unserem 10. Jubiläum wird es eine besonders große Bandbreite an aktuellen Filmen von Tschechien bis Kasachstan und von Russland bis Nord-Mazedonien geben.“
KinoFabrik e.V.
Im Schwerpunkt Science-Fiction erwarten euch Filme aus mehreren Jahrzehnten! Science-Fiction-Filme haben in Osteuropa eine lange Tradition und seit der Stummfilmzeit großen Einfluss auf das gesamte Genre hinterlassen. Besonders die Literatur-Klassiker von Stanislaw Lem und der Brüder Strugatzki haben die Filmschaffenden über Jahrzehnte hinweg inspiriert. Los geht’s, zurück in die Zukunft… oder direkt hinein in unser Programm im Zentralkino!
Mittwoch, 23. November 2022
Die Welt ist ein geheimnisvoller Ort, wenn man sie mit den Augen eines Tieres betrachtet. EO, ein grauer Esel mit melancholischen Augen, begegnet auf seinem Lebensweg guten und schlechten Menschen, erlebt Freude und Schmerz, erträgt das Glücksrad, das sein Glück in Unglück und seine Verzweiflung in unerwartete Glückseligkeit verwandelt. Doch nicht einmal für einen Moment verliert er seine Unschuld.
20.00 Uhr: Kurzfilmprogramm „Sorbische Filmemacher*innen erzählen“
Der Abend präsentiert vier Arbeiten von aktuellen sorbischen Filmschaffenden. Der Film funktioniert als Werkzeug, um zu beobachten, Fragen zu stellen oder die eigene Perspektive auszudrücken. So finden sich in diesem Programm dokumentarische und experimentelle Kurzfilme, die uns unterschiedliche Blicke auf sorbische Identität, Sagengestalten und Orte ermöglichen. Im Anschluss an die Vorführungen wird ein Gespräch mit den Filmemacher*innen stattfinden.
Donnerstag, 24. November 2022
Im Jahr 2163 ist die „Ikarie XB 1“ mit einer 40-köpfigen Besatzung auf dem Weg zu einem Planeten im System Alpha Centauri, um dort nach außerirdischem Leben zu suchen… 1963, noch vor der ersten Mondlandung, ist diese kühne Zukunftsvision entstanden, umgesetzt mit allen damals verfügbaren technischen Raffinessen. „Ikarie XB 1“ ist somit ein wichtiger Film des Genres (von dem sich selbst Stanley Kubrick für „2001“ inspirieren ließ), mit avantgardistischer elektronischer Musik untersetzt, entpolitisiert und zeitlos gealtert. Wunderbar visionär ist auch der Alltag auf dem Raumschiff mit Kantine, Schlagerparty und Fitnessraum. Schmunzeln erlaubt.
Maya und Jana sind unzertrennliche Freundinnen zwischen Musik, Alkohol, Insta-Selfies, Eifersucht und erstem Sex. Keine Party findet ohne sie statt, keiner der Jungs ist vor ihnen sicher, vor allem die wilde Jana hält die Zügel fest in der Hand. Die stillere Maya hat dafür den hübschesten Jungen für sich gewonnen, für ihr erstes Mal – bis der in letzter Sekunde einen Rückzieher macht und sich einer Anderen zuwendet… Klare Bilder, großartige Jungschauspielerinnen und eine intensive Geschichte machen aus „Sisterhood“ ein packendes Stimmungsbild der Generation Z.
Petrov und seine Familie werden von der Grippe geplagt. Trotzdem pflegt jedes Familienmitglied seinen gewöhnlichen Alltag im postsowjetischen Russland, jetzt allerdings ergänzt mit Fieberphantasien… Der russische systemkritische Theater- und Filmregisseur Kirill Serebrennikov demontiert mit anarchistischer Phantasie seine sozial und moralisch in der Kritik stehende Heimat, verarbeitet künstlerisch in diesem Film auch den über ihn verhängten Hausarrest. Er lässt nicht nur die Grenzen zwischen Realität und Phantasie verschwimmen, auch Vergangenheit und Gegenwart werden eins, wenn sich Figuren und Publikum gemeinsam in rauschartigen Bildern verlieren.
Freitag, 25. November 2022
17.45 Uhr: Working Class Heroes
Lidija ist in einer dubiosen Immobilien-Firma die Frau für alles: sie vertreibt Menschen aus ihren Wohnungen, besticht die Behörden, überwacht die Baustellen, umgarnt Investoren und sorgt für eine strahlende Publicity. Aber zuhause muss sie sich mit ihrem arbeitslosen Mann um das weitere Auskommen sorgen… Regisseur Miloš Pušić wollte den Film als Mischung aus dokumentarischem Drama und Suspense-Thriller drehen, der sich am Ende wie ein Punk-Song anfühlt. Das ist ihm gelungen.
Cristi, ein junger rumänischer Gendarm, versucht, das Gleichgewicht zwischen zwei scheinbar gegensätzlichen Teilen seiner Identität zu finden: dem eines Mannes, der in einer macho-hierarchischen Umgebung arbeitet, und dem eines verschlossenen schwulen Mannes, der versucht, sein Privatleben geheim zu halten. Im Versuch, sich an die heteronormativen Strukturen seines Umfelds anzupassen, verkörpert er den Konflikt und die Verwundbarkeit vieler LGBTQ+ Menschen aus Rumänien und auch anderswo.
Péter glaubt, seinen verschollenen Vater in einer Dokumentation über einen mysteriösen Unfall wiederzuerkennen. Dieser desertierte in den 70er Jahren aus dem kommunistischen Ungarn, eine Straftat unter diesem Regime, und seitdem hat man nichts mehr von ihm gehört… Regisseur György Pálfi hat eine verspielte und sehr moderne Adaption des polnischen Romans „Die Stimme des Herrn“ von Stanislaw Lem geschaffen. Zwischen Science-Fiction-Elementen, der Frage nach außerirdischem Leben und der Bedeutung des Signals aus dem All, ist der Film nicht zuletzt ein Familiendrama, privat und politisch zugleich.
Samstag, 26. November 2022
14.30 Uhr: 107 Mütter, mit Filmgespräch im Anschluss
Die Zeit der mütterlichen Fürsorge ist für Lesya begrenzt, ihr Sohn darf nur bis zu seinem dritten Geburtstag bei ihr bleiben, denn Lesya tritt im Frauengefängnis von Odessa eine 7jährige Haftstrafe an. Im Affekt hatte sie ihren Mann getötet. Nun lebt sie in einer reinen Frauenwelt, gestaltet mit ihren Schicksalsgenossinnen den Alltag hinter den Mauern… In nahezu dokumentarischer Intensität nähert sich der über vier Jahre hinweg entstandene Film diesen Frauen und ihren bewegenden Geschichten an und wird von einer sehr sanften Inszenierung gerahmt. Viele der Frauen spielen sich selbst, ihre Geschichten sind authentisch. Ein starker, berührender Film, der den Hauptpreis des Filmfest Cottbus 2021 gewann.
Direkt im Anschlus folgt „Zwischen Mut und Leid“, ein Gespräch mit ukrainischen Frauen – über den Film und sie selbst. Moderieren wird Dr. Marina Scharlaj vom Institut für Slavistik der TU Dresden. Was bedeutet es in der Ukraine Mutter zu sein? Was leisten Mütter in außergewöhnlichen Situationen und in Zeiten des Krieges? Wie fühlt es sich an, plötzlich alleinerziehend zu sein, die Männer und das Zuhause zurückzulassen, einen Neuanfang in der Fremde zu wagen? Welches Verhältnis haben Frauen zu ihrer Heimat, der „Mutter-Ukraine“, die historisch wie heute einen unglaublichen Mut beweist, aber auch der Ausdruck des (weiblichen) Leides ist? Ergänzend zum Film geben die unterschiedlichen Biografien einen Einblick in den Alltag der ukrainischen Frauen und Mütter und umschreiben zugleich das Frauenbild sowie das Selbstbild der Nation.
Eine Frau schaut in den Spiegel. Sie ist schön, hat ein markantes Gesicht, starke Wangenknochen. Ihr Körper hat blau-schwarze Flecken, ist gezeichnet von jahrelanger Misshandlung. Sie hüllt ihn in ein oranges Kleid, das für ihr Arbeitsleben steht. Hier ist sie erfolgreiche Influencerin, ihre Produktlinie „Happiness“ soll Frauen attraktiv und glücklich machen… Mit trügerischer Ruhe und unerträglicher Ausdauer inszeniert Askar Uzabayev das weltweite Thema der häuslichen Gewalt. Das wird Spuren hinterlassen bei allen, die vor der Brutalität des (Ehe-)Mannes nicht die Augen verschließen. Denn darum geht es: hinsehen, sprechen, sich wehren. Vorgemacht hat das Bayan Maxatkyzy, TV-Star und Bloggerin, selbst Opfer, – sie hat diesen Film produziert.
20.00 Uhr: Somewhere over the Chemtrails
Standa arbeitet mit seinem älteren Kollegen Bronya, den er bewundert, bei der Freiwilligen Feuerwehr – ein entspannter Job, denn in ihrem tschechischen Heimatdorf brennt es selten. Sorgen bereitet ihm eher die Frage, ob seine schwangere Frau ihren Bauch ausreichend mit Essig besprüht. Ein Kollege hat das als Hausmittel gegen die schädlichen Einflüsse sogenannter Chemtrails empfohlen… „Somewhere over the Chemtrails“ ist ein Spielfilm, gemacht für jene, die keine Scheu haben, ernsten Themen mit Humor zu begegnen und die dabei gewillt sind, hin und wieder anzuecken.
Wenn Bodybuilderin Edina sich für ihren nächsten Wettbewerb zurechtmacht, dann treten ihre weichen Züge in den Hintergrund und sichtbar wird ein muskelbepackter Körper, der seine besten Tage schon längst hinter sich hat. Ihre Erfolgsstory ist gleichzeitig die einer radikalen Selbstaufopferung. Ihr Arzt warnt sie vergeblich vor der weiteren Ausbeutung ihres Körpers, der voller Steroide und Nahrungsergänzungsmittel ist. Um die leistungssteigernden Drogen bezahlen zu können, nimmt Edina einen Nebenjob als Escort auf und begegnet dabei Männern mit unkonventionellen erotischen Fantasien… „Gentle“ ist ein anfangs eher befremdlicher Film, dann eine sehr berührende Sensation.
Sonntag, 27. November 2022
11.00 Uhr: Der silberne Planet
In ferner Zukunft haben Raumfahrerinnen und Raumfahrer einen erdähnlichen Planeten kolonialisiert und eine intakte Gesellschaft aufgebaut, die die Fehler der irdischen Zivilisation vermeidet. Doch sie werden von furchterregenden Wesen aus dem All terrorisiert und rufen die Erde um Hilfe an… In visionären Bildern, orgiastischen Massenszenen und rauschhaften Monologen entwickelte Andrzej Zulawski nach einer literarischen Vorlage seines Großonkels Jerzy Zulawski eine völlig einzigartige Weltraum-Mythologie. Noch während der Fertigstellung des Films wurde er wegen systemkritischer Bezüge vom polnischen Kulturministerium verboten, sogar Requisiten und Kulissen zerstört. Erst zehn Jahre später konnte der Film fertiggestellt werden, indem die fehlenden Passagen mit zeitgenössischem Dokumentarmaterial und Off-Kommentaren des Regisseurs ergänzt wurden. Das Ergebnis ist ein Film mit fragmentarischem Charakter, der dennoch wie ein monumentales Epos wirkt, der den Zuschauer in einem surrealen meditativen Sog gebannt festhält.
Das Ökosystem der Erde ist zusammengebrochen. Ein großer Teil der menschlichen Population wurde ausgelöscht. Während in den sogenannten „Zitadellen“ die Oligarchie gedeiht, kämpfen die junge Vesper und ihr bettlägeriger Vater Darius im nahezu unbewohnbaren Ödland ums Überleben. „Vesper“ ist eine visuell atemberaubende und zutiefst humanistische Kino-Parabel über die Kraft des Zusammenhalts, die uns dank des künstlerischen Konzepts und träumerischen Soundtracks zu einem audiovisuellen Erlebnis der Sonderklasse einlädt.
Drücke nie auf Knöpfe, die du nicht kennst! Wladimir wollte nach der Arbeit nur kurz noch Nudeln kaufen, als ein junger Student ihn auf der Straße anspricht: „Genosse, dort steht ein Mann, der sagt, er sei ein Außerirdischer!“ Als sie ihm helfen wollen, erklärt dieser mit einem Gerät in der Hand, er hätte sich verirrt und bräuchte nur die aktuellen Koordinaten, um sich via Knopfdruck nach Hause beamen zu können. Ungläubig und belustigt drückt Wladimir aus Spaß kurzerhand selbst auf den Knopf… und Zack!, stehen sie auf einem Planeten namens Plük, mitten im Nichts… Kultfilm!
17.00 Uhr: Die hässlichen Schwäne
Viktor Banev ist auf dem Weg zu einer militärisch abgeriegelten Stadt, die aufgrund von Klima-Anomalien in Nebel und infrarotes Licht getaucht ist und in der Dauerregen herrscht. In dieser postapokalyptisch anmutenden Szenerie leben Mutanten mit telepathischen und telekinetischen Fähigkeiten, die dort eine Hochbegabtenschule betreiben. Die Mutanten lassen nur Menschen mit positiven Gedanken die Stadt betreten. Wer den Test nicht besteht, muss sterben… Basierend auf dem gleichnamigen Roman der Brüder Strugatzki, ist es ein zutiefst poetischer und philosophischer Film, der die Schwächen der Menschen und deren Umgang mit dem Andersartigen und Fremden thematisiert. Dem Publikum wird es nicht leicht gemacht, sich auf eine Seite zu schlagen und der Film stellt viele Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt, auch nicht in Bezug auf eine mögliche Zukunft der begabten Kinder und ihrer Weltanschauung.
Ein verlassenes Berghotel während eines Schneesturms. Der Wächter knackt Nüsse in einer Hütte und löst mit einem alten Mann Kreuzworträtsel. Sie sind in Gesellschaft einer schwarzen Krähe, die Rakija aus Schnapsgläsern trinkt. In den ehemaligen Hotelzimmern werden Hummer gezüchtet… Das Spielfilmdebüt von Andrey M. Paounov, der zuvor magisch-realistische Dokumentarfilme drehte, entfaltet sich zu einem vielschichtigen Film mit Mystery- und Horrorelementen und offensichtlichen Verweisen auf Stanley Kubricks „Shining“. Inspiriert ist der Film von dem Theaterstück des Nobelpreisträgers Jordan Raditschkow.