31.01.2023
Gerechtigkeit verjährt nicht
Der Dokumentarfilm „Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht“ von Sabine Lamby, Cornelia Partmann und Isabel Gathof zeigt anhand der jüngsten NS-Prozesse wie sich Fritz Bauers Ansatz als neues Prinzip der Rechtsauffassung in Deutschland etablieren konnte.
Der systematische Massenmord in den Konzentrationslagern des NS-Regimes fand nicht durch einzelne, wenige Täter statt, sondern nur durch die Unterstützung von tausenden Mittätern. Lange konnte die deutsche Justiz dieser historischen Tatsache nicht gerecht werden.
„Es ist begeisternd, mit welcher Akribie und Klarheit die Regisseurinnen die Geschichte der NS-Prozesse in der Bundesrepublik Deutschland auffächern und beleuchten.“
Jury der FBW (Deutsche Film- und Medienbewertung)
Durch Generalstaatsanwalt Fritz Bauer wurden bei den Frankfurter Auschwitz Prozessen 1963 zum ersten Mal Angeklagte für Beihilfe zum Mord vor ein deutsches Gericht gebracht. Doch schon damals kam es, trotz umfassender Erkenntnisse, nicht zu einer Prozessflut – im Gegenteil: die Strafverfolgung von NS-Verbrechern nahm sogar ab. Rund 60 Jahre später findet Fritz Bauers Erbe nun Anwendung.
Mit bewegenden und aufrüttelnden Zeitzeugenberichten von Überlebenden, entfaltet der Film eine faszinierende Geschichte darüber, wie die Gerechtigkeit ihren Weg in die deutschen Gerichte fand. Außerdem veranschaulicht er die wegbereitende Bedeutung der heutigen Urteile als Mahnung für die Zukunft.
Die Regisseurinnen über ihren Film
1983 haben wir von Frankfurt am Main aus, als 17jährige Schülerinnen, eine Oberstufen-Kursfahrt nach Polen unternommen. Ein Programmpunkt war der Besuch der Gedenkstätte Auschwitz. Die unfassbaren Verbrechen, die hier begangen worden waren, wurden sehr real. Der Besuch der Gedenkstätte hinterließ einen tiefen Eindruck in uns. Fast parallel zu unserem Besuch, wurde das Verfahren gegen Oskar Gröning, der in Auschwitz als SS-Mann unter anderen an der sogenannten „Rampe“ tätig war, von der Frankfurter Staatsanwaltschaft eingestellt. Die Begründung lautete damals, dass „kein hinreichender Tatverdacht vorliegt“.
2015 im Nachgang des von unserer Produktionsfirma entwickelten und co-produzierten Kinofilms „Im Labyrinth des Schweigens“, der das Zustandekommen des ersten Auschwitz-Prozesses 1963 unter Fritz Bauer thematisiert, begannen wir zu recherchieren, warum es danach nicht zu einer Prozessflut kam. Das vertrauensvolle Verhältnis zu Gerhard Wiese, dem ehemaligen Staatsanwalt vom Frankfurter Auschwitz-Prozess, und die Informationen von anderen Zeitzeugen, waren mithin ein Grund dafür. Ein weiterer Auslöser war die Verurteilung von Oskar Gröning, im Jahr 2015. Das große mediale Interesse zum Prozess gegen Gröning zeigte, dass es nicht nur das „große Schweigen“ während der Nachkriegszeit gab, sondern auch das jahrzehntelange „Justiz Versagen“ unter dem Radar der Öffentlichkeit lief. Was waren die Gründe dafür? Dem mussten wir nachgehen.
Anfang November 2018 konnten wir (Sabine Lamby, Cornelia Partmann und Isabel Gathof), gemeinsam mit unserem Co-Regisseur Jens Schanze, die Prozesseröffnung gegen Johann R. In Münster dokumentieren und es folgten 26 weitere spannende und ereignisreiche Drehtage in Deutschland, Israel, USA und Polen. Die Recherche zu den konkreten eingestellten Ermittlungen und/oder Verfahren zu NS-Verbrechen, nach dem Auschwitz-Prozess und bis zum Demjanjuk Verfahren, waren aufwändig und zeitintensiv. Der Vergleich mit einem „Labyrinth“ wäre auch hier passend.
Der Film soll und kann keine abschließende Antwort auf die Frage geben, warum die deutsche Justiz Jahrzehnte benötigte, um den Massenmord in den deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern, als ein Verbrechen mit sehr vielen Mittätern, zu ahnden und vor Gericht zu bringen. Die Antwort, dass „alte Nazis“ in den Institutionen dies verhindert hätten, kann nicht mehr für die 80iger/ 90iger Jahre gelten. Es gibt keine „einfache“ Antwort auf diese Frage und sich dem zu stellen und der Antwort weiter nachzugehen, auch über den Film hinaus, ist uns wichtig. Außerdem möchten wir mit dem Film den Überlebenden und deren Angehörigen, die gebührende Aufmerksamkeit geben. Wir haben von ihnen verschiedene Auffassungen zu diesen sehr späten Prozessen gehört, teils waren sie sehr bitter, teils sehr pessimistisch, teils versöhnlich. Aber in einem waren sie sich einig: Die juristische Aufklärung durch die deutschen Gerichte der Verbrechen in den Konzentrations- und Vernichtungslagern und der daraus einhergehenden Urteile, hat dazu beigetragen, Annäherung und Vertrauen zu ermöglichen.