12.09.2022

Film + Gespräch am 18.09., 11.30 Uhr: Alle reden übers Wetter

Eine Frau mit dunklen Haaren und elegantem Blazer steht vor einer wandgroßen Projektion, die ein gezeichnetes Frauengesicht aus weißen, schwarzen und blauen Linien zeigt.

Foto: Grandfilm

Mit humorvollen, pointierten Dialogen und genauen zwischenmenschlichen Beobachtungen erzählt „Alle reden übers Wetter“ von Regisseurin Annika Pinske die Geschichte einer ostdeutschen Bildungsaufsteigerin. Zur Matinée am 18.09.2022 ist die Filmemacherin bei uns zu Gast!

Clara hat es geschafft. Weg aus der ostdeutschen Provinz führt sie als Dozentin ein unabhängiges Leben in Berlin und macht ihren Doktor in Philosophie. Zwischen ihren beruflichen Ambitionen, einer Affäre mit einem ihrer Studenten und der fordernden Freundschaft zu ihrer Doktormutter Margot bleibt wenig Zeit für die Familie.

 

„Es gibt Filme, die so nah sind, dass sie nach ihrem Ende ein großes Glas Rotwein und eine Schachtel Zigaretten geradezu zwingend einfordern.“

Lars Dolkemeyer

Als Clara mit ihrer fünfzehnjährigen Tochter zum 60. Geburtstag ihrer Mutter Inge zurück in die Heimat fährt, wird sie mit ihrem Ideal von einem freien, selbstbestimmten Leben konfrontiert. Wie hoch ist der Preis, den sie dafür zahlen muss?

Der Film beobachtet die Geschlechterhierarchien in den ganz einfachen alltäglichen Interaktionen der Figuren und zeigt, wie stark wir in der Gesellschaft auf bestimmte Rollen festgelegt sind und wie schwierig es ist, diesen zugewiesenen Platz zu verlassen, auszubrechen und etwas Neues zu finden.

 

Annika Pinske über ihren Film

Seit ich selbst Kinder habe, sehe ich meine eigene Mutter mit anderen Augen. Ich frage mich, wie sie und Generationen von Müttern vor ihr es geschafft haben, ihren Töchtern Selbstvertrauen zu geben, ohne die Privilegien der Männer. Welche Kämpfe hat sie gekämpft, welche Opfer gebracht, dass ich heute sagen kann: Ich möchte Filme machen?

Es gibt wenige positive Darstellungen von starken Mutter-Tochter-Beziehungen in kulturellen Erzählungen. Das Thema ist historisch so untererzählt, dass es für mich fast einer Verantwortung gleichkam, einen Film über Mütter und Töchter zu machen. Alle die Geschichten der Frauen vor mir, die für immer im Verborgenen bleiben, weil sie keinen Zugang zu Kunst und Kultur hatten – ein Verlust, der niemals nachzuholen ist. Was hätte alles zu meiner Identitätsfindung beitragen können, als Tochter, als Mutter und auch als Filmemacherin? Es ist mühselig, wenn Selbstverständlichkeiten, Vorbilder und Überlieferungen der Vordenkerinnen fehlen. Vielleicht ist es bezeichnend, dass ich erst mit Ende dreißig meinen ersten Langfilm gemacht habe. Es ist selbstverständlich nicht nur eine Frage des Geschlechts, sondern auch eine des sozialen Status. Damit sind wir thematisch auch schon mitten im Film und bei meiner Protagonistin Clara.

Es gibt ein Gefühl der Unsicherheit bei Clara, das mit ihrem sozialen Status, ihrem Geschlecht und ihrer Herkunft zusammenhängt. Vielleicht muss ich an dieser Stelle von mir selbst sprechen, denn diese Erfahrung teile ich mit meiner Protagonistin. Ich würde sagen, dass ich erst durch den Kontakt mit Westdeutschen Ostdeutsche geworden bin.

Vorher war es mir völlig egal, aber sobald ich Frankfurt/Oder, meine Heimatstadt an der deutsch-polnischen Grenze, verließ, musste ich ständig erklären, woher ich komme. Plötzlich wurde ich mit allen möglichen Stereotypen über Ostdeutsche konfrontiert– immer als Kompliment verpackt, denn ich wurde überhaupt nicht als Ostdeutsche gesehen. Als Reaktion darauf habe ich mich gefragt, wie sich Westdeutsche jemanden aus dem Osten vorstellen, was einen verunsichern und vereinnahmen kann. Außerdem gibt es auch Vorurteile über die Arbeiterklasse, und ich kann gar nicht genau sagen, welche Vorurteile in welche Kategorie gehören, aber sie machen etwas mit deinem Selbstbewusstsein. Ich glaube auch, dass Claras beruflicher Ehrgeiz eine Art Wiedergutmachung für ihre Mutter ist. Als die Mauer fiel, verlor Inge ihre Arbeit und musste die demütigenden Prozeduren des Arbeitsamtes über sich ergehen lassen. Ihr bisheriges Leben wurde plötzlich in vielerlei, oft erniedrigender Weise als wertlos angesehen.

Ich glaube, dass viele Kinder nach der Wiedervereinigung diese Erfahrung kennen und teilen. Ich möchte über die Stereotypen hinausgehen und stattdessen die Erfahrungen von Ostdeutschen ansprechen, die diesen Bruch in ihrer Biografie erlebt haben. Ich glaube, dass das für die Menschen in Westdeutschland etwas völlig Fremdes ist. Und hier gibt es wirklich etwas von den Ostdeutschen zu lernen. Ich glaube, das übliche Narrativ ist immer umgekehrt gewesen.